Man muss
heute schon mit allem rechnen. Wer Zebrabarben mit dem Leuchtgen von
Quallen zum Leuchten bringt und in den internationalen
Zierfischhandel bringt, dem ist alles zu zu trauen. Aber hier ist
alles ganz harmlos. Die Alpakas sind nur geschoren, bis auf den Kopf,
denn ihre Wolle ist begehrt. Doch begeistert sind sie davon nicht.
Alpakas im
Haubentaucher-Look. Rechts im Hintergrund ein weiteres Exemplar
Gesehen
in Bühlberg bei Burg Hoheneck in Mittelfranken
Synthetische
Fasern haben der Wolle in den letzten Jahrzehnten immer mehr
Konkurrenz gemacht und sie an den Rand gedrängt. Tatsächlich haben
Synthetics neue, nützliche und vorteilhafte Eigenschaften, auf die
man nicht mehr verzichten möchte. Aber die Werbung hat vor allem die
Vorteile bei der Kleidung übertrieben und mit Begriffen wie
Klimamembrane
und Funktionskleidung geschönt.
Vielen tierischen Wolllieferanten ist das zum Verhängnis geworden.
Doch jetzt zeichnet sich eine Renaissance der Wolle ab, freilich auch
dank moderner Verarbeitungsmethoden. Meine eigene teure
Funktionskleidung ist längst beim Müll und nicht beim Roten Kreuz
gelandet. Denn was die Werbung vollmundig verspricht, kann der Alltag
nicht halten. Wer kraxelt schon täglich im Sturzregen am Himalaya?
Das Rascheln war für mich noch das kleinste Ärgernis.
Schafe
pflegen Landschaft und Biotope und liefern Wolle
Wolle ist
ein Material, das vor jeder Witterung schützen muss, vor allem vor
Kälte, Hitze und Nässe, aber auch vor Verletzungen. Außerdem muss
es leicht sein und von seinen Trägern billig zu produzieren sein.
Alpakas, Schafe und andere Warmblüter sind also auf ein perfektes
Material angewiesen, denn ihre Körper funktionieren nur bei einer
Innentemperatur von 37 bis 38 °C. Wenige Grade mehr oder weniger
können schon das Aus bedeuten. Deshalb hat sich im Laufe der
Evolution etwas herausgebildet, dass diese Quadratur des Kreises
leistet, die Wolle
eben. Gerade Alpakas, deren Heimat die Anden Südamerikas sind,
müssen extremen Wetterlagen trotzen , darunter dem ständigen
Wechsel von Hitze bei Tag und Kälte bei Nacht. Das schafft nur eine
besonders raffinierte Wolle und die ist begehrt. Stellen wir uns vor,
wir müssten unsere Wohnung bei Hitze und bei Kälte, bei Regen,
Schnee und Sturm, egal ob im Winter oder Sommer immer auf 37 °C
halten und das noch möglichst preiswert. Dann wird uns klar, was
Wolle leistet. Aber deshalb den Alpakas den Kopf auch noch zu
scheren, geht wohl zu weit. Deshalb der Haubentaucher-Look.
Wolle
ist kompostierbar
Chemisch
gehören Wolle, Haare, Federn, Hufe, Hörner, Nägel und Hautschuppen
zu den Keratinen oder Skleroproteinen. Das sind Eiweiße, deren
Bausteine aus vielen hundert mit einander verknüpften Aminosäuren
bestehen. Besonders häufig ist die Aminosäure L-Cystein, die schwer
wasserlöslich ist, weshalb sich Keratine sich in Wasser kaum lösen.
Aber trotzdem verschwinden Wolle, Haare, Federn bei Mauser,
Fellwechsel, Tod oder wenn sie weggeworfen werden wie von Zauberhand,
unmerklich und geräuschlos, sie sind einfach weg. Da klappern keine
Mülltonnen und lärmen keine Müllautos; Müllverbrennung,
Müllmafia, Müllgebühren gibt es nicht und schon gar nicht den
Zirkus mit dem Rücknahme-Pfand nach Trittin. Das alles funktioniert
seit Millionen von Jahren und auch ohne Menschen.
Fingernägel
aus Keratin – Vorbilder für geniales Wirtschaften
Eigentlich
müssten wir längst in Wolle, Federn, Hörnern, Nägeln und
Hautschuppen erstickt sein. Synthetics dagegen bilden bereits
riesige schwimmende Teppiche in den Ozeanen und an Land liegt noch
viel mehr, nur besser versteckt. So betrachtet ist der Vorteil, dass
Synthetics nicht verrotten, ein Nachteil. Langsam, ganz langsam
dämmert es uns, welcher Schatz Naturfasern sind.
Keratin
wird gefressen
Denn in
Wahrheit sind Keratine als Futter sehr begehrt. Sie werden schlicht
gefressen und zwar von einer Armada von Bakterien, Pilzen, Würmern,
Käfern und vielen anderen Kleintieren, die Keratine verdauen können.
Sie sind meist sehr klein und leben im Verborgenen. Dazu gehören
unter anderem die Hausstaubmilben, die sich wie Heinzelmännchen über
unsere Hautschuppen hermachen. Weil sie laufend erneuert werden,
stößt jeder Mensch täglich ein bis zwei Gramm ab; genug um 1 500
000 Milben zu ernähren. Bei diesen Zahlen ist Putzen sinnlos und
fördert womöglich sogar die Neigung zu Allergien, wenn man der
neuen, recht plausiblen Hygienehypothese der Allergieentwicklung
folgt.
Lebensgrundlage
für viele Arten
Doch diese
nützlichen Winzlinge werden gefressen und die wieder von anderen und
die schließlich von einem, der groß genug ist, um von uns als „Art“
gesehen und geschützt zu werden, wie zum Beispiel von einem
Rotkehlchen. Beim „Verschwinden“ von Wolle, Haaren, Federn, Horn
und Fingernägeln haben wir es also mit dem Startpunkt einer
Nahrungskette oder zu tun, die vielen Arten das Leben möglich macht.
Diese
Einsicht ist für den Artenschutz von fundamentaler Bedeutung.
Polyesterfasern können das nicht. Das Nachdenken über den
Haubentaucher-Look der Alpakas hat sich gelohnt.
Star im
Prachtkleid aus Keratin
Natur
und Kunst, sie scheinen sich zu fliehen
Und
haben sich, eh man es denkt, gefunden;
Der
Widerwille ist auch mir verschwunden,
Und
beide scheinen gleich mich anzuziehen.
Johann Wolfgang von
Goethe
Kunst und
Keratin – besser kann Design nicht mehr werden
Feder von einem Stockenten-Erpel
Dr.
Friedrich Buer
15. Juli 2015