Elster (Zeichnung nach Savage, 1995,
aus von Kooiker/Buckow, 1999)
Eigentlich sollte es
umgekehrt sein, denn Elstern räubern Nester von Amseln und anderen
Kleinvögeln aus. Sie leiden unter den Elstern. Aber warum werden
dann die Kleinvögel in einer Stadt nicht weniger, sondern nehmen
sogar noch zu, obwohl sich die Elstern um das Vierfache vermehrt
haben? Weil das Verhältnis zwischen Räuber und ihren Opfern anders
ist, als oft vermutet.
Der Ornithologe Dr.
Gerhard Kooiker hat von 1984 bis 1998 in der Großstadt Osnabrück
die Entwicklung von 18 Stadtvogelarten und die der Elstern und auf
einer Fläche von 23,6 km2
untersucht. Erfasst wurden die Paare von Ringel- und Türkentauben
und 16 kleinen Singvogelarten, wie z. B. Meisen, Rotkehlchen,
Buchfinken und Amseln. 1985 zählte er 73 Elsternpaare und 1997 waren
es 287 – also 214 Elsternpaare mehr! In der gleichen Zeit nahmen
die 18 untersuchten Stadtvogelarten um 42 Prozent zu. Nur die
Buchfinken nahmen um 25 Prozent ab, warum konnte nicht geklärt
werden, denn es gibt viele Ursachen für Bestandsschwankungen. An den
Elstern wird es aber weniger gelegen haben, denn sonst hätten die
anderen 17 Vogelarten nicht um 42 Prozent zugenommen.
Viele Gründe für
Populationsschwankungen
Warum es einmal mehr und
einmal weniger Vögel einer Art gibt, ist letztlich unbekannt. Es
kann am veränderten Lebensraum liegen, am Wetter oder Klima, am
Nahrungsangebot, an Parasiten oder Seuchen, an der Konkurrenz durch
andere Vogelarten, an Beutegreifern und Nesträubern, an inneren
Ursachen und vielen anderen Faktoren, die sich auch noch überlagern,
verstärken oder abschwächen können. Außerdem sind ganz sicher
noch viele unbekannt, denn sonst könnten nicht immer wieder neue
entdeckt werden. Andererseits ist offensichtlich, dass Wasservögel
ohne Wasser keine Chance haben und ohne Nahrung kein Vogel leben
kann.
Rotte niemals Deine
Beutetiere aus!
Elstern sind Allesfresser,
wie Ratten und Menschen. Das hat den großen Vorteil, dass es immer
irgendetwas gibt und schlechte durch gute Nahrung kompensiert werden
kann. Deshalb predigt man uns Mischkost und deshalb macht uns
einseitige Ernährung krank. Bei Elstern besteht die Mischkost aus
Würmern, Spinnen, Insekten, Mäusen, Fischen, Vögeln, Aas,
Getreidekörnern, Wildkrautsamen, Früchten, Vogelfutter,
Hundefutter, Hühnerfutter, Schulbroten, Abfällen und allem, was
ihnen sonst noch vor den Schnabel kommt. Jungvögel und Vogeleier
machen maximal drei bis vier Prozent aus und das auch nur während
der kurzen Brutzeit. Aber es stimmt schon, aus der Sicht ihrer
lebenden Futtertiere, also auch aus der Sicht der Vogelbrut, sind
Elstern Räuber, auch wenn sie oft nur kranke oder unvorsichtige
Tiere erwischen. Doch für alle Räuber gilt eine eherne Regel:
Rotte niemals Deine
Beutetiere aus, denn sonst kannst Du nichts mehr räubern und hast
den Ast abgesägt, auf dem Du sitzt. Wer als Räuber dagegen
verstößt, stirbt aus. Deshalb gibt es solche Räuber nicht.
Elsternflügel mit Endfedern und
Schillerfarben, die durch Interferenz entstehen.
Städte sind Oasen der
Artenvielfalt und ohne Jagd
Aber warum werden nun die
Elstern mehr und die Kleinvögel auch? Darüber können wir nur
spekulieren. Offensichtlich aber haben sich für Elstern und
Kleinvögel die Lebensumstände in den Städten verbessert und dazu
gehört auch das bessere Nahrungsangebot dort und dass Elstern nicht
gejagt werden können. Dafür aber im Umland und so nennt der
Landesjagdbericht für Niedersachsen unglaubliche 31.712
abgeschossene Elstern allein in 2003. Pro Jahr werden in Deutschland
über zwei Millionen Vögel abgeschossen, darunter 324.000
Rabenvögel, also Elstern, Eichelhäher und Krähen. Immer wieder
wird gegen diesen Unsinn protestiert.
Weil in den Städten kaum
gejagt wird, wurden sie zu Fluchtburgen. wenn man sie mit den
landwirtschaftlichen Flächen des Umlandes vergleicht. Städte sind
heute Oasen der Artenvielfalt und davon profitieren alle Tiere in der
Stadt.
Menschen sind diebisch
– Elstern nicht
Menschen sind diebisch,
das beweist die Kriminalstatistik des Innenministeriums. Für 2013
nennt sie 2.382.743 gemeldete Diebstähle allein in Deutschland. Wer
noch nie gestohlen hat, sei nur noch nie erwischt worden, sagt man.
Für Elstern ist nichts dergleichen nachgewiesen. Der Fotograf, der
das berühmte Foto eines Elsternnestes, das mit edlen Sonnenbrillen
und silbernen Teelöffeln garniert war, an eine dankbare süddeutsche
Jägerzeitschrift gegeben hatte, gab nach Jahren zu, es gefälscht zu
haben. Wir glauben eben, was zu unseren Vorurteilen passt. Richtig
ist, dass Vögel aber auch Menschen durch Glitzerndes angelockt
werden, es gern aufheben und mitnehmen. Auch Elstern machen das und
so kann Glitzerndes ins Elsternnest geraten oder bei uns in die
Vitrine. Diebstahl ist das nicht.
Elsternnest mit Dach
Elstern als
Nestbaumeister
Das Elsternnest sieht wie
eine aus Ästen gebaute Kugel aus. Das ist sie auch und schützt Eier
und Nestlinge vor Nesträubern, unter denen auch die Elstern leiden.
Die Kugelform betrifft aber nur das Äußere. Im Inneren bauen die
Elstern eine Nistmulde, darüber ein Schutzdach und ein enges
Schlupfloch. Manchmal und wenn man genau hinsieht, erkennt man das
Dach über dem eigentlichen Nest. Die Nistmulde wird mit Lehm
ausgekleidet und so besonders stabil. Das Elsternnest ist ein
Kunstwerk, wie Kooiker schreibt. Ein von ihm und Claudia Verena
Buckow untersuchtes Elsternnest wog 4.400 g. Davon wog das Außennest
1.750 g, der Lehmnapf 2.500 g, das grobe Innennest 60 g und das
feine Innennest 20 g. Er zählte 410 Zweige und sechs Stücke
Zaundraht.
Doch es kommt noch besser.
Kooiker fand 2003 im Baikalgebiet in Mittelsibirien bei dem
burjatischen Dorf Sarma Elsternnester, die fast ganz aus Draht gebaut
waren! Die Drahtstücke stammten von einer aufgegebenen Fischfabrik
und lagen überall herum. 299 Drahtstücke zählte er in einem Nest,
95 Prozent aus Aluminium und 4 Prozent aus Eisen. Gesamtgewicht :
4.215 g. Eines der Drahtnester wurde der pädagogischen Hochschule
Irkutsch als Schaustück übergeben.
Intelligente Elstern
Wie Intelligenz entsteht,
ist umstritten. Zwar gehört ein Gehirn wohl dazu, aber an seiner
Größe allein kann es kaum liegen, denn das durchschnittliche Gehirn
von Männern wiegt mehr, als das der Frauen und trotzdem sind sie
klüger. Eine Frau z. B. fährt von A nach B, ein Mann kämpft sich
von A nach B. Außerdem hatten die Neandertaler mit 1610 g größere
Gehirne als wir und Computergehirne werden immer kleiner und trotzdem
immer leistungsfähiger. Das Gehirn einer Elster wiegt sogar nur
mickerige 15 g. Es hat wie alle Vogelgehirne kein Großhirn
(Neocortex) so wie wir und steuert trotzdem ein perfektes Wesen, das
es schon länger als den Homo sapiens gibt.
Wer Auto fährt, sieht
häufig Elstern am Straßenrand und oft sogar ihre Nester. Sie haben
längst gelernt, dass Autos ihnen laufend neues Futter vorwerfen,
überfahrene Vögel, Mäuse, Igel, Hasen und unzählige Insekten.
Also warum mühsam suchen und sich anstrengen, wenn es auch ohne
geht? Unser Sozialstaat lässt grüßen. Glaubwürdige Freunde aus
Berlin beobachteten Jahr für Jahr Elstern, die Nüsse bei Rot für
Autos auf einen Zebrastreifen legen, sie bei Grün von den Autos
knacken lassen und wenn die Autos bei Rot wieder warten müssen, den
Nussbruch verzehren. Andere für sich arbeiten lassen, das ist
eindeutig intelligent.
Elstern wissen wer sie
sind
Wir Menschen haben ein
Ich-Gefühl und erkennen uns im Spiegel. Tiere können das natürlich
nicht, glaubte man, es sind ja nur Tiere. Dabei ist es kaum möglich
zu erraten, was in den Köpfen anderer vorgeht. Doch auch Elstern und
andere Vögel haben vermutlich ein Ich-Gefühl. In raffinierten
Versuchen konnten das Forscher wie Helmut Prior und Onur Güntürkün
nachweisen. Sie ließen Elstern in einen Spiegel sehen und sahen, wie
sie sich vor dem Spiegel so hin und her bewegten, als „wollten sie
sich der Übereinstimmung der Bewegungen ihres Körpers mit denen des
Spiegelbilds vergewissern.“ Als sie den Elstern heimlich einen
gelben Farbfleck an die Brust praktizierten, da schauten sie sich den
Fleck interessiert an und nestelten mit dem Schnabel am dem Fleck
herum, ähnlich wie wir, wenn wir im Spiegel einen Fleck am Kragen
entdecken. Elstern wissen also, wer sie sind und dass es sie gibt, so
wie wir Menschen auch.
Elster betrachtet im Spiegel einen
gelben Fleck an ihrer Kehle (aus Prior u. Güntürkün, 2008)
Quellen
Bährmann, U.,
Die Elster. Die Neue Brehm-Bücherei. Ziemsen, Wittenberg
Lutherstadt, 1968.
Beckmann, H.,
Protest der Deutschen Zoologischen Gesellschaft.
http://www.rabenvoegel.de/protest_gegen_jagd,htm, 2001.
Bezzel, E.,
Deutsche Jäger schießen über 2 Millionen Vögel jährlich –
warum eigentlich? Der Falke, 54, S. 234-235.
Kooiker, G.,
Brutbestandsentwicklung der Elster (Pica pica) in Osnabrück von 1984
bis 2005. Vogelkundliche Berichte Niedersachsen 38, 91-99, 2006.
Kooiker, G. u.
Buckow, C.V., Die Elster, ein Rabenvogel im Visier. Sammlung
Vogelkunde, Aula Verlag, Wiebelsheim, 1999.
Kooiker, G. Elsternnester aus Draht.
Der Falke, 51, S. 356, 2004.
Prior, H. u. Güntürkün, O.,
Elstern: Selbsterkennung im Spiegel, Biologie in Unserer Zeit,
5/2008, S. 282
Dr.
Friedrich Buer, 23. März 2015